Die besondere Situation der medizinischen Forschung

Grundlegendes Ziel der medizinischen Forschung ist es, zuverlässige und verallgemeinerbare Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Krankheiten entstehen und wie sie effektiv diagnostiziert und behandelt werden können. Damit unterscheidet sich die medizinische Forschung wesentlich von der klinischen Standardversorgung, die der bestmöglichen Behandlung des individuellen Patienten dient (Prinzip des Wohltuns). Auch die Forschung ist den medizinethischen Prinzipien Wohltun, Nichtschaden, Respekt vor der Autonomie und Gerechtigkeit verpflichtet (1). Allerdings bedarf es aufgrund der Besonderheiten von medizinischer Forschung mit Menschen einer weitergehenden Klärung, was in diesem Kontext ethisch vertretbar ist.

Forschungsvorhaben in der Medizin sind je nach Studientyp mit gewissen Risiken für die Studienteilnehmer verbunden. Nun birgt auch eine Standardtherapie Risiken, etwa die der unerwünschten Nebenwirkungen. Der Kontext der Forschung unterscheidet sich jedoch mindestens in zwei wesentlichen Merkmalen.

Erstens, den Risiken der Forschung steht eine andere Verteilung des zu erwartenden Nutzens gegenüber. Neben einem potentiellen Nutzen für die Studienteilnehmer ist medizinische Forschung ihrem primären Ziel nach in erster Linie auf den Nutzen für zukünftige Patienten und die Gesellschaft ausgerichtet, dergestalt, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung führen können. Zusätzlich profitieren die beteiligten Forscher und die wissenschaftliche Gemeinschaft vom Erkenntnisgewinn.

Zweitens, gehen Forschungsvorhaben mit einer erhöhten Ungewissheit hinsichtlich des möglichen Nutzens und Risikos einher. Vor Beginn einer klinischen Studie zu einem neuartigen Arzneimittel ist z.B. nicht klar, ob es tatsächlich die gewünschte Wirksamkeit aufweist und ob die Anwendung sicher ist. Würden hierzu bereits ausreichende Erkenntnisse vorliegen, wäre die Studie nicht mehr notwendig. Somit ist ungewiss, ob die Studie den Teilnehmern nützt und/oder schadet und ob die gewonnen Ergebnisse von Nutzen für zukünftigen Patienten sein werden.

Ethischer Konflikt

Das ethische Konfliktpotential von medizinischer Forschung ist erkenntlich. Forschungsvorhaben werden nicht nach dem Ziel gestaltet, dem gesundheitlichen Wohlergehen der Patienten bzw. Studienteilnehmer im Einzelfall bestmöglich zu nützen wie es das Prinzip des Wohltuns vorgibt (auch wenn diesem Prinzip dennoch Rechnung getragen wird). Forschungsvorhaben sollen allgemeingültige Erkenntnisse liefern. Gleichzeitig werden die Studienteilnehmer einem Schadensrisiko ausgesetzt, was gegen das Prinzip Nichtschaden verstößt. Jegliche Forschungsaktivitäten mit Menschen aufzugeben, weil sie im Konflikt mit den medizinethischen Prinzipien Wohltun und Nichtschaden stehen, scheint jedoch auch nicht zielführend. In ihrem Handeln benötigen Ärzte verlässliche Erkenntnisse zu Sicherheit und Wirksamkeit der jeweiligen Therapie, da sie bei mangelndem Wissen ebendiese Prinzipien Wohltun und Nichtschaden nur erschwert einhalten könnten. Die notwendige Wissensgrundlage kann jedoch nur anhand von Studien mit Menschen gewonnen werden.

Forschungsethische Prinzipien

Das Instrumentalisierungsverbot bzw. die Menschenwürde bilden das ethische Fundament der medizinischen Forschung mit Menschen. Entsprechend dürfen die Interessen von Wissenschaft und Gesellschaft ohne weitere Abwägung keinen Vorrang vor den Rechten und Bedürfnissen des Individuums haben. Um den ethischen Konflikt der medizinischen Forschung in der Praxis zu vermitteln, bedarf es jedoch eines weitaus konkreteren Rahmens. Auflösbar ist der Konflikt nicht. International besteht aber ein breiter Konsens dazu, unter welchen Bedingungen Forschung mit Menschen als ethisch akzeptabel bewertet werden kann. Diese Bedingungen wurden vielfach in Guidelines und Deklarationen festgehalten. Hieraus leiteten Emanuel et al. ein für die Forschungsethik maßgebendes Framework ab (3). Es umfasst acht Prinzipien:


Medizinische Forschung ist mit Risiken und Aufwand für die Studienteilnehmer verbunden und verbraucht zudem Ressourcen. Daher müssen ihre Resultate einen sozialen Wert haben. Dieser kann etwa in einer Erweiterung des Grundlagenwissens bestehen, oder darin, dass die Erkenntnisse von anderen Wissenschaftlern bei der Formulierung neuer Forschungsfragen aufgegriffen werden und nach einem langen Prozess auch zur Verbesserung der medizinischen Versorgung führen.

Praktische Ebene: Der soziale Wert eines einzelnen Forschungsvorhaben wird durch die Ethik-Kommissionen in die Risiko-Nutzen-Abwägung miteinbezogen und findet überdies Anwendung, indem geklärt wird, ob die Forschungsfrage bereits ausreichend beantwortet wurde. In einem solchen Fall wäre kein sozialer Wert gegeben.

Forschung muss nach wissenschaftlichen Gütekriterien und aktuellen methodischen Standards geplant werden, um zuverlässige und valide Erkenntnisse und Ergebnisse zu generieren. Andernfalls besitzt Forschung keinen sozialen Wert und ist zudem als unethisch zu bewerten, weil sie den Studienteilnehmenden ein unnötiges Risiko oder zumindest unnötigen Aufwand zumutet.

Praktische Ebene: Die Ethik-Kommissionen prüfen die Forschungsfrage und das gewählte Studiendesign nach verschiedenen Gesichtspunkten. Bei klinischen Studien, die zwei Therapien miteinander vergleichen, wird etwa eine (klinische) Equipoise vorausgesetzt. Das bedeutet, dass vor Studienbeginn eine tatsächliche Unentschiedenheit in der wissenschaftlichen Gemeinschaft bestehen muss, welche der zu untersuchenden Therapien hinsichtlich von Nutzen und Schaden überlegen ist. Zudem müssen die Therapien nach klinischer Bewertung gleichwertig zum gegenwärtigen Behandlungsstandard sein (Equipoise nach Freedman (4)).

Die wissenschaftlichen Ziele eines Forschungsvorhabens bilden die maßgebende Grundlage für die Auswahl der Studienteilnehmer, nicht Faktoren wie soziale Privilegien oder die Vulnerabilität einer Gruppe. Zusätzlich zu den wissenschaftlichen Kriterien sollten die Minimierung der Risiken und die Maximierung des Nutzens der Studie bedacht werden. Etwa sollten Personen, die zwar nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten geeignet wären, jedoch durch die Studienteilnahme besonders hohen Risiken ausgesetzt würden, nicht eingeschlossen werden.

Praktische Ebene: Es wird überprüft, ob die Auswahl der Stichprobe und ein möglicher Ausschluss bestimmter Personengruppen mit Blick auf die Fragestellung des Vorhabens und das mögliche Risiko und den Nutzen gut begründet sind. Sollen vulnerable Gruppen in die Forschung einbezogen werden, muss dies ebenfalls gut begründet werden.

Medizinische Forschungsvorhaben sollten ein günstiges Verhältnis von Nutzen und Risiken für die Studienteilnehmer aufweisen. Hierzu ist es geboten, dass der Nutzen für die Studienteilnehmenden bestmöglich maximiert und Risiken gesenkt werden, ohne dass dadurch ein Verlust der wissenschaftlichen Qualität verursacht wird. Zudem wird auch die Dimension des Nutzens für die Allgemeinheit, d.h. etwa für zukünftige Patienten, beurteilt. Je höher das Risiko einer Studie ist, desto größer muss auch deren Nutzen für Studienteilnehmer und Allgemeinheit ausfallen. Grundsätzlich stellt sich dabei die Frage, welchen Risiken Studienteilnehmer ausgesetzt werden dürfen, um einen potentiellen Nutzen für anderer, zukünftiger Patienten zu erzielen?

Praktische Ebene: Den Nutzen und die Risiken im Einzelfall zu bestimmen und abzuwägen, ist eine überaus anspruchsvolle Aufgabe, nicht zuletzt, weil sie je nach Studientyp mit einer unterschiedlich hohen Ungewissheit einhergeht. Diese Abwägung stellt eine der Kernaufgabe der medizinischen Ethik-Kommissionen dar.

Die unabhängige Begutachtung von Forschungsvorhaben (in der Regel durch eine Ethik-Kommission) ist eine prozedurale Anforderung, die die Einhaltung der forschungsethischen Prinzipien vor Beginn eines jeden Forschungsprojekts mit Menschen gewährleisten soll. Die verschiedenen (legitimen) Interessen von Forschenden (z.B. möglichst aussagekräftiges Studiendesign, Sicherheit der Studienteilnehmer, Publikation der Studienergebnisse, das Einwerben von Drittmitteln) können zu ethischen Konflikten führen und die Planung sowie Durchführung einer Studie beeinflussen. Indem Personen, die nicht an der Studie beteiligt sind, diese vorab bewerten, können die Auswirkung möglicher Interessenskonflikte vermindert werden. Durch eine unabhängige Begutachtung wird zudem das Vertrauen der Gesellschaft in eine wertvolle und ethisch akzeptable Forschungspraxis am Menschen gesichert.

Praktische Ebene: Zur Arbeit von Ethik-Kommissionen siehe hier.

Die informierte Einwilligung ist Ausdruck des allgemeinen medizinethischen Prinzips Respekt vor der Autonomie. Indem Personen selbst bestimmen können, ob sie an einem bestimmten Forschungsprojekt teilnehmen möchten, wird ihre Autonomie geachtet. Die Voraussetzungen für eine gültige informierte Einwilligung zur Teilnahme an einer Studie sind dann erfüllt, wenn die einwilligende Person einwilligungsfähig ist, sie zu allen relevanten Informationen der Studie aufgeklärt wurde, diese verstanden hat und ihre Zustimmung freiwillig gibt. Besonders entscheidend ist dabei, dass die einwilligende Person verstanden hat, dass es sich um die Teilnahme an Forschung handelt, die mit einer erhöhten Ungewissheit zu Risiken und Nutzen einhergeht, und nicht um eine Standardtherapie mit bereits nachgewiesener Wirksamkeit. Zudem muss u.a. über Behandlungsalternativen außerhalb der Studie sowie über die Möglichkeit aufgeklärt werden, dass die Einwilligung jederzeit zurückgezogen werden kann.

Praktische Ebene: Die Ethik-Kommissionen überprüfen u.a., ob die Aufklärungsunterlagen leicht verständlich und ausgewogen über die Studie informieren und erwirken Verbesserungen, wenn dies nicht der Fall ist.

Der Respekt vor den Studienteilnehmern beschränkt sich nicht auf die informierte Einwilligung, sondern ein respektvoller Umgang mit den Patienten und Patientinnen sowie Probanden und Probandinnen ist bereits vor dem Beginn der Studienteilnahme und z.T. bis über das Ende der Teilnahme hinaus geboten. Dies umfasst, dass im gesamten Zeitraum Sorge für das Wohlergehen der Studienteilnehmenden getragen wird und gehandelt wird, wenn Schaden droht sowie der Aufwand der Teilnahme entschädigt werden kann, die Vertraulichkeit der persönlichen Daten geschützt und dem Studienteilnehmer die Möglichkeit gegeben wird, seine Teilnahme zu jederzeit ohne negative Folgen zu beenden.

Praktische Ebene: Die Forscher müssen z.B. zeigen, wie das Wohlergehen der Teilnehmenden überwacht und bei welchen Ereignissen/negativen Konsequenzen die Studie vorzeitig abgebrochen wird (Studienabbruchkriterien). Das Prinzip des Respekts umfasst auch praktische Aspekte wie Versicherungsschutz, Datenschutz oder Pläne, die die Behandlung der Patienten nach Beendigung der Studie regeln.

Die Gemeinschaften, in denen Forschung durchgeführt wird, sollten in die Planung und Durchführung des Forschungsvorhaben einbezogen werden. Hintergrund hierfür ist die Überzeugung, dass die Ausnutzung von Gemeinschaften verhindert werden kann, wenn diese frühzeitig einbezogen werden und dabei selbst bestimmen können, was sie für akzeptabel erachten und welcher Nutzen erreicht werden sollte.

Praktische Ebene: Gemeinschaftliche Teilhabe kann z.B. durch die Einbindung von Patientenvertretern und Patientenvertreterinnen in die Planung von Forschungsvorhaben oder durch das Bereitstellen leicht verständlicher Informationen über die Studie realisiert werden.

  1. Beauchamp TL, Childress JF. Principles of Biomedical Ethics. 8th Edition. New York: Oxford University Press; 2019.
  2. Toellner R. Problemgeschichte: Entstehung der Ethik-Kommissionen. In: Toellner R (Hrsg.) Die Ethik-Kommission in der Medizin. Problemgeschichte, Aufgabenstellung, Arbeitsweise, Rechtsstellung, und Organisationsformen Medizinischer Ethik-Kommissionen. Stuttgart New York: Gustav Fischer; 1990: S. 8.
  3. Emanuel EJ, Wendler D, Grady C. An Ethical Framework for Biomedical Research. In: Emanuel EJ et al., (Eds) The Oxford Textbook of Clinical Research Ethics. New York: Oxford University Press; 2008: p. 123–135.
  4. Freedman B. Equipoise and the ethics of clinical research. The New England ournal of medicine. 1987;317(3):141-5.

Forschungsethische Positionen

Der Arbeitskreis leitet aus den eben genannten forschungsethischen Prinzipien im Weiteren einige maßgebende Positionen und Forderungen für die Forschung ab. Er sieht seine Aufgabe zudem darin, die Umsetzung dieser Positionen voranzutreiben und mit eigenen Texten und Vorschlägen zu unterstützen und in der Öffentlichkeit zu vertreten.


Seit langem ist bekannt, dass die Aufklärungsmaterialien für die Patienten und Patientinnen sowie Probanden und Probandinnen, die an klinischen Studien teilnehmen wollen, teilweise zu lang und unverständlich sind. Der Arbeitskreis setzt sich daher dafür ein, dass diese Aufklärungsmaterialien möglichst kurz und verständlich sind und zugleich auf die Patienteninteressen eingehen. Er stellt Mustertexte für die Aufklärung auf seiner Homepage zur Verfügung. Er tritt dafür ein, Nutzen und Risiken der Anwendung digitaler Medien bei der Aufklärung zu analysieren und nach ethischen Kriterien zu bewerten.

Die klinischen Prüfungen, die zur Zulassung von Arzneimitteln oder zur Zertifizierung von Medizinprodukten führen sollen, orientieren sich fast ausschließlich an behördlichen Anforderungen. Dabei werden die Hauptgruppen der späteren Anwender, z.B. ältere Patienten  und Patientinnen und deren Interessen, oft vernachlässigt. Daher tritt der Arbeitskreis für eine stärkere Beteiligung von Patienten und Patientinnen schon in der Planungsphase von klinischen Prüfungen ein. Er befürwortet auch die Beteiligung von Patienten und Patientinnen sowie klinischen Prüfern und Prüferinnen in den Gremien, die auf deutscher und EU-Ebene über klinische Prüfungen beraten oder entscheiden.

Der AKEK unterstützt den medizinischen Fortschritt und engagiert sich für eine einheitliche Prozesse in der Bewertung durch Ethikkommissionen. Daher haben AKEK und die Bundesärztekammer im Bereich der Studien für berufsrechtliche Beratung (Sonstige Studien) im Juni 2024 eine Verfahrensregelung zur Umsetzung einer beschleunigten Bearbeitung multizentrischer Studien beschlossen.
Aber auch im gesetzlich regulierten Bereich der Arzneimittel und Medizinprodukte setzt sich der AKEK national und auf EU-Ebene für möglichst vereinfachte Verfahren bei gleichbleibend hoher Qualität der Studien und für die Beschleunigung bei der Antragstellung von Forschungsvorhaben ein. Um die Arbeit der Ethik-Kommissionen in Zeiten wachsenden medizinischen Forschungsdrucks weiterhin auf qualitativ hohem Niveau zu gewährleisten, engagiert sich der AKEK für die rechtliche Stabilisierung der Ethikkommissionen in Deutschland und der EU sowie für eine angemessene personelle Ausstattung der Geschäftsstellen.

Forschung mit Menschen ist nur zulässig, wenn eine Forschungsfrage bisher nicht beantwortet wurde und nicht auf andere Weise zufriedenstellend beantwortet werden kann. Wie zahlreiche Analysen zeigten, existieren oft Forschungsvorhaben zu Fragen, die längst in der Fachliteratur beantwortet wurden(1), und es werden zu viele Studien zu gleichartigen Fragestellungen durchgeführt. Letzteres unter anderem beispielsweise in Zeiten der Covid-19 Pandemie der Fall(2), was u.a. zu erheblichen Verzögerungen für den Erkenntnisgewinn führen kann. Für diese Probleme gibt es z.T. keine einfachen Lösungen, z.T. liegt eine Verbesserung der Lage außerhalb der Möglichkeiten des Arbeitskreises. Dennoch bringt der Arbeitskreis diese Probleme auf deutscher und auf EU-Ebene mit Nachdruck zur Sprache.